Digitalisierung als Chance in der Wasserversorgung

Fachbeitrag | Forum Gas Wasser Wärme | Ausgabe 2/2021
FIWA Beitrag
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Der Mensch verlässt ungern gewohnte Pfade und alteingesessene Strukturen, Prozesse und Abläufe, die ihn jahrelang verlässlich an sein Ziel gebracht haben. Doch es kommen Zeiten, in denen das Vertraute und Gewohnte nicht mehr mit der Realität mithalten kann. Wir erleben gerade, wie wir uns neuen Gegebenheiten anpassen müssen. Herausforderungen wie Pandemien, Klimawandel, Wasserknappheit, wachsende Bevölkerungszahlen und erhöhter Energiebedarf werden sowohl die Nachfrage als auch die Verfügbarkeit und Verteilung von Wasser sowie die Anforderungen an die Wasserinfrastruktur in den kommenden Jahrzehnten verschärfen.

Globale Erwärmung, ausbleibender Regen und viele weitere Faktoren machen die Ressource Trinkwasser knapper. Das hat die Diskussion, wer wann, wieviel, in welcher Reihenfolge nutzen darf und wer wann, wieviel genutzt hat und wieviel noch verfügbar ist, europaweit bereits angefacht. Für eine zukunftsfähige Wasserwirtschaft sind internationale, nationale und lokale Wasserstrategien daher unerlässlich.

In der Wasserversorgung besteht die Möglichkeit, anhand von Wissen über Wasserverluste oder unproportionale Verbrauchsmengen, einen wesentlichen Beitrag zum Schutz der Ressource Wasser zu leisten. Nicht nur die Umwelt profitiert von den digitalen Möglichkeiten, es verschafft dem Wasserversorgungsunternehmen Kontrolle, schützt die Mitarbeiter und erhöht die Wirtschaftlichkeit im System. „Durch die IT-gestützte Übernahme repetitiver Prozesse kann die Wirtschaftlichkeit verbessert werden, durch den bedarfsgerechteren Einsatz von Betriebsstoffen die Nachhaltigkeit, durch digitale Serviceprozesse der Kundenservice oder durch eine erhöhte Transparenz der Prozesse mittels verbesserter Sensorik die Qualitätsüberwachung erhöht werden“, stellt Dr. Wolf Merkel, DVGW-Vorstand, in einem Interview über das Digitalisierungstempo in der Versorgungsbranche im Zuge der Pandemie fest. Versorgungsunternehmen stehen vor der großen Aufgabe, sich mit digitalen Lösungen für analoge Herausforderungen auseinanderzusetzen und sich der digitalen Transformation zu öffnen.

Digitalisierung – einfach nur von analog zu digital?

Grundsätzlich lässt sich die Digitalisierung so zusammenfassen, dass analoge Informationen in digitale Formate umgewandelt werden. Doch was steckt konkret dahinter? In der Wasserversorgung greift die Digitalisierung auf verschiedenen Ebenen (vgl. Einstiegsfragen „Digitalisierung in der Wasserwirtschaft“, DVGW, 06/2020). Relevant sind vor allem die Feldebene, die Ebene der Geschäftsprozesse und die Ebene des Kundenservice. Die Feldebene umfasst die Komponenten zur Generierung von digitalen Rohdaten (z.B. elektronische Zähler) sowie die Kommunikationswege, auch Datenübertragungsstrecken genannt, zwischen den Komponenten. Durch die Digitalisierung der Feldebene werden Arbeitsabläufe automatisiert und Geschäftsprozesse effizienter, transparenter und sicherer gestaltet. Die Zählerfernauslesung beispielsweise löst die zeit- und kostenintensive manuelle Auslesung ab. Personal-, Zeit- und Finanzressourcen, die dadurch eingespart werden, können für andere Bereiche eingesetzt und wesentlich effizienter genutzt werden. Auch ein wichtiger Aspekt in diesem Zusammenhang ist die papierlose Abwicklung der Geschäftsprozesse, die zur Nachhaltigkeit beiträgt. Die Digitalisierung in der Wasserversorgung ermöglicht auch einen besseren Kundenservice, der bisher nur eine unwesentliche Rolle gespielt hat. Durch die Verfügbarkeit von Daten können Versorger auf die sich stetig verändernden Kundenerwartungen reagieren: digitale Kommunikation anstelle von Anrufen, Verzicht auf papiergebundene Abrechnungen, individuelle Information im Falle von Versorgungsstörungen, Möglichkeit zur eigenen täglichen Verbrauchsübersicht oder sogar flexible, verbrauchsangepasste Tarife. Versorger entwickeln sich immer mehr von der einfachen Daseinsvorsorge hin zu einem Dienstleistungsunternehmen. Digitalisierung bietet viel Potenzial und steigert zudem die Attraktivität als Arbeitgeber.
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Nutzen und Möglichkeiten einer digitalen Wasserversorgung

Das Herzstück einer digitalen Wasserversorgung ist der elektronische Zähler. Dabei geht es um mehr als reine Verbrauchsmessung. Der innovative Vorreiter in Sachen intelligenten Messlösungen, das dänische Unternehmen Kamstrup, bietet sogar als einziges Unternehmen auf dem Markt einen elektronischen Ultraschall-Wasserzähler an, der Leckagen vor dem Zähler im Verteilnetz detektiert. Mittels Ultraschall werden Geräuschmuster im Wasser erfasst und der niedrigste Geräuschwert aufgezeichnet. Dadurch lassen sich Hintergrundgeräusche, wie zum Beispiel oberirdischer Verkehr, herausfiltern. Die Geräuschermittlung erfolgt über den Schall im Medium Wasser, unabhängig vom Material des Leitungsnetzes. Ausgestattet ist die Neuheit zusätzlich mit den intelligenten Alarmen, um Leckagen, Rohrbrüche und andere Unregelmäßigkeiten wie Manipulationsversuche oder Rückflüsse schnell zu erkennen.

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Dadurch lassen sich nicht nur Wasserverluste und Begleitschäden minimieren – Versorger können durch diese Informationen auch einen proaktiveren Kundenservice anbieten.

Mit Fernauslesung werden Ablesekarten und Verbrauchsschätzungen überflüssig. Erfahrungsgemäß benötigt ein Versorgungsunternehmen je nach Größe des Versorgungsgebietes im Durchschnitt zwei Monate zur Auslesung aller Zähler. Mit der Fernauslesung reduziert sich diese Zeit auf durchschnittlich zwei Tage. Der Zeitaufwand für die Leckagesuche verringert sich auf ca. ein Drittel der ursprünglichen Zeit. Ein weiterer Nutzen der Digitalisierung lässt sich bei der Wartung und Instandhaltung der Versorgungsnetze erkennen. Eine Analyse-Software ermöglicht es mittels Daten einen kompletten Überblick über ein Versorgungsgebiet zu erstellen, bei dem Informationen über Durchflüsse, Verbräuche oder Wasserverluste abgerufen werden können. Auch leistungsschwache und renovierungsbedürftige Leitungen werden angezeigt, was dem Versorger die Planung von Instandhaltungsmaßnahmen erleichtert.

Je nach Anforderung die passende Kommunikationstechnologie

Im Zuge der Digitalisierung stehen auch immer mehr Kommunikationstechnologien für die Fernauslesung zur Verfügung. Dazu gehören die bekannten M-Bus-basierten Protokolle und neue IoT-Technologien. Jedes Versorgungsunternehmen hat unterschiedliche Anforderungen wie beispielsweise Batterielebensdauer, Datenhäufigkeit, Netzwerkreichweite und ob die Daten nur zur Rechnungslegung oder auch zu Analysezwecken und zur Prozessoptimierung verwendet werden. Ein paar gängige Technologien werden hier vorgestellt:
  • Wireless M-Bus ist ein weitverbreitetes und standardisiertes Kommunikationsprotokoll. Darüber erfolgt die drahtlose Zählerkommunikation sowie die Fernauslesung per Drive-by oder über ein fixes Netzwerk von Wärme-, Kälte-, Strom- und Wasserzählern. Diese Technologie erfüllt die Anforderung von Versorgungsunternehmen an die Servicequalität und Datenhäufigkeit, ohne bei der Batterielebensdauer Kompromisse einzugehen. Es eignet sich zu Analysezwecken, über die Abrechnung hinausgehend, beispielsweise Wasserverluste und den Druck im Verteilungsnetz in nahezu Echtzeit zu analysieren, um so Prozesse zu optimieren und die Daten noch besser zu nutzen.
  • Sigfox ist eine geschützte Technologie des gleichnamigen Unternehmens. Es nutzt eine eigene Kommunikationsinfrastruktur und wird durch verschiedene Netzwerkbetreiber in den jeweiligen Ländern abgedeckt. Sigfox bedient sich der UNB-Technologie (Ultra Narrowband) und baut eine Fernverbindung auf. Vor allem jene Versorger, die kein eigenes Netzwerk installieren und betreiben möchten und denen tägliche Werte genügen, profitieren von dieser Technologie.

  • NB-IoT (Narrowband Internet of Things ) ist die Antwort der Telekommunikationsbranche auf den IoT-Markt. NB-IoT nutzt eine vorhandene Infrastruktur von Antennenstandorten, die heute für die mobile Kommunikation (LTE) verwendet werden. NB-IoT ist für eine gute Abdeckung und sehr geringe Datenmengen optimiert. Das macht NB-IoT für die Fernauslesung von intelligenten Wasserzählern interessant, die oft in Zählerschächten, Kellern oder anderen Orten, die sich für die Datenkommunikation nicht optimal eignen, installiert sind. Die Technologie befindet sich noch in den Anfängen, und die Telekommunikationsanbieter erweitern momentan die Abdeckung.

  • LoRaWAN ist eine Low Power Wide Area Network Spezifikation für drahtlose batteriebetriebene Systeme in einem regionalen, nationalen oder auch globalen Netzwerk. LoRaWAN zielt dabei auf die wichtigsten Anforderungen des Internet der Dinge (IoT) ab, beispielsweise bidirektionale Kommunikation, Lokalisierung und Mobilität von Dienstleistungen. Kamstrup bringt gemeinsam mit der GELSENWASSER AG, einem der größten Wasserversorger in Deutschland, und der PHYSEC GmbH einen elektronischen Trinkwasserzähler mit LoRa TLS-Kommunikationsmodul auf den Markt. Die LoRaWAN Kommunikationstechnik wird bereits in der Praxis in der Stadt Gelsenkirchen getestet, ab Anfang 2022 werden 25.000 Stück eingesetzt.

Gegenwärtige Entwicklungen und Ausblick

Bereits vor Ausbruch der Corona-Pandemie sahen sich Versorger vielen Herausforderungen gegenüber, die ohne digitale Lösungsansätze nicht zu bewältigen waren. Die Krise hat diese Situation noch einmal verschärft und den Digitalisierungsprozess wesentlich beschleunigt. Gerade vor dem Hintergrund der landesweiten Kontaktbeschränkungen, mussten in kürzester Zeit ganze Abläufe und Prozesse digitalisiert werden, um die Aufrechterhaltung systemrelevanter Infrastrukturen sicherzustellen. Die Versorgungssicherheit musste trotz Home Office und Personaleinschränkungen aufrechterhalten werden. All diese Anforderungen waren und sind ohne die Digitalisierung nicht zu bewältigen. Die Pandemie hat uns somit einmal mehr vor Augen geführt, dass gewohnte Pfade verlassen und neue Wege eingeschlagen werden müssen, um die Wasserversorgung schon heute fit für die Herausforderungen von morgen zu machen.